(Be-)Deutungsansprüche in qualitativer Forschung

Posterpräsentationen

 

Becoming the phenomenon: Ethnographische Erforschung körperlicher Integrationsprozesse in Praktiken

 

Sophie Merrit Mueller (Tuebingen)

 

 

Wenn es um die Frage nach der Notwendigkeit, aber auch den Herausforderungen von Feldteilnahme in der qualitativen Forschung geht, so spitzt sich dies am Gegenstand des sogenannten impliziten Wissens von Körpern in Praktiken besonders zu. Dies betrifft vor allem die Erforschung von Praktiken, die über hoch komplexe Körpertechniken funktionieren — wie zum Beispiel Ballett.

 

Zentraler theoretischer Anspruch der Praxistheorien ist es, dass praktisches Wissen in seiner Körperlichkeit den Akteuren wenig bewusst und darüber hinaus größtenteils nur einer durch Praxis im Feld strukturierten Wahrnehmung zugänglich ist. Dass eine Wissensproduktion, welche an der eigenen körperlichen Erfahrung der ‚Logik der Praxis‘ vorbei geht, somit dieser nicht gerecht werden kann, ist die Konsequenz. Der Forscher muss sich in diesem Paradigma, wie Wacquant mit seiner Boxer-Studie eindrücklich gezeigt hat, selbst als Teilnehmer vom Feld formen lassen.

 

Wie aber kann es gelingen, das Nicht-Verbalisierbare von Praktiken einerseits durch ‚beobachtende Teilnahme‘ der Erforschung zugänglich zu machen, es aber gleichzeitig auch auf wissenschaftlicher Ebene zu ent-decken und ihm eine sprachliche Explikation zu geben?

 

Die Strategie, die dazu in diesem Poster diskutiert wird, liegt dabei in einer doppelten Interpretation des Garfinkel‘schen becoming the phenomenon: Ballett ist, basierend auf Bewegung, abhängig von Körpern mit spezifischen Fertigkeiten und in einem permanenten ‚Bereitschaftszustand‘, dem Tänzer als Instrument und dem Choreographen als Material zu dienen. Damit der Körper aber so arbeiten kann, muss er bearbeitet werden. Dieses praxisspezifische ‚body building‘ ist damit zentraler Bestandteil der künstlerischen Arbeit und findet im Ballett-Training statt, das neben den choreographischen Proben angesiedelt ist. Um solche Praktiken in ihrer situativen, funktionalen Eigenlogik nachvollziehen zu können muss man zum Einen selbst zum Praktiker werden.

 

Damit vollzieht man zum Anderen den Prozess des becoming the phenomenon, den jeder Akteur erlebt, der in eine spezifische Praktik integriert wird: Die Praktik muss sich in Übungsprozessen den Körper (und seine Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata) zu eigen machen. Einer solchen Phase der Um-Formung ist immer eine (kritische) Befremdung inhärent, die vom Forscher genutzt werden kann. Diese Habitualisierung mit aufmerksamer Selbstreflexion und Distanzierungsstrategien (z. B. Begriffsinstrumente und Kodierungen) zu durchlaufen, bietet Zugang zur ‚Logik der Praxis‘, welche sich nach dem Prozess des Einübens größtenteils dem Bewusstsein entzieht.

 

Die Präsentation diskutiert an konkreten Daten aus der oben beschriebenen Forschung im Rahmen meiner Promotion die Notwendigkeit, Schwierigkeiten und forschungspraktische Strategien des becoming the phenomenon sowie seinen Erkenntnismehrwert: Ist diese Methode gegenstandsadäquater als andere? Welche (Be-)Deutungsanspüche kann und darf eine solche ethnographische Arbeit behaupten? Welche Gütekriterien gelten hier und wie sichert man die Qualität von Daten und Interpretation? Dass diese Forschungsstrategie nicht ‚subjektiver‘ ist als andere Erhebungsmethoden, sondern dass im Gegenteil erst damit tiefere Bedeutungsschichten des Sozialen freigelegt werden können, ist die These, die es dabei auszuloten gilt.

 

Poster Presentation Mueller
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